Seltsamerweise wird es einerseits als Gut hochgehalten und zugleich als Selbstverständlichkeit betrachtet.
Was meine ich?
Sowohl Politiker*innen und Journalist*innen nehmen es als gegeben hin, dass ihrer Arbeit vertraut wird. Das ist es aber gar nicht. Ich muss die Chance haben, mich zu informieren. Es kann nicht sein, dass es auf blindem Vertrauen basiert. Darauf scheinen die einen wie die anderen zu vertrauen und wundern sich, dass das Vertrauen in sie schwindet. Wer ist hier naiv?
Mein Spielplatz war die USA, denn einerseits bin ich der Sprache mächtig und andererseits ist es so ein großes Land, dass es reichlich nationale Medien gibt. Als Vergleich müsste ich eine Plattform für ganz Europa wählen. Während wir in der EU (450 Millionen) stolz auf unsere nationalen und regionalen Unterschiede sind, werfen wir liebend gerne Menschen in den USA (339 Millionen) in einen Topf.
Der Spielplatz war gut gewählt. Ich hatte viele Medien, viele Wikipedia-Einträge nicht nur zu Politiker*innen, sondern auch Journalist*innen. Während ich in Österreich mir einen Google-Alert einrichtete, um über Aktivitäten „meiner“ Nationalratsabgeordneten informiert zu werden, habe ich in den USA einfach einen Newsletter abonniert und wurde so von einem Mitglied des Repräsentantenhaus informiert, was er im Congress für die Menschen in seinem Wahlbezirk unternommen hat. Das erfahre ich in Österreich nicht, die Abgeordneten schicken ihre Mitteilungen in erster Linie zur APA, der Österreichischen (A) Presseagentur (PA). Unsere Abgeordneten werden durch ein Verfahren den jeweiligen Wahlbezirken in den Bundesländern zugeordnet. Aber im Grunde ist es die „Partei“, die zählt. Ich habe viele Menschen gefragt, ob sie wissen, wer für sie im Nationalrat sitzt. Von den regionalen kennt man einige, aber national? Für mich im Burgenland ist es einfach, es sind nur fünf. Gekannt habe ich sie nicht, bis auf jene, die in Regierungen oder national für einen anderen Posten aufgestellt wurden. Aber in Wien kannte ich die regionalen (sprich Bezirksvorsteher) auch nicht.
Niemand kommt in Österreich auf die Idee, sich direkt an seinen Nationalratsabgeordneten zu wenden.
In den USA ist das ein durchaus übliches Vorgehen, wie mir eine Freundin erzählte, weil sie selbst unzählige Briefe geschrieben hat.
Die Struktur des amerikanischen Parlaments ist völlig anders als das unsere hier in Österreich. Aber ich frage mich immer, könnten wir uns nicht ein wenig abschauen, was durchaus interessant ist? Und ebenso, was wir gar nicht wollen. Die USA hat eine alte Demokratie, das bedeutet aber auch, das vieles für eine andere Zeit passend war, vieles für heute nicht. Wir hatten mehrere Anläufe, um die Regeln unserer Demokratie zu überarbeiten. Ob das 1867 beim Ausgleich unterm Kaiser war, nach dem 1. Weltkrieg, dem Durcheinander während der 1. Republik, unter den Nationalsozialisten, und nach dem 2. Weltkrieg. Wir konnten schrauben. Wesentlich leichter durch die historischen Ereignisse als die USA, die als Staat Bestand hat. Die Zusätze zur Verfassung benötigen nicht nur 2/3 des Parlaments sondern auch jene der einzelnen Bundesstaaten. Auch wenn Kelsen, dem Vater unserer Verfassung, weit über unsere Grenzen bekannt ist (für Experten des Verfassungsrechts) wissen wir wenig über unsere Verfassung. Hans Kelsen saß im österreichischen Verfassungsgerichtshof, musste emigrieren und war ein bedeutender Rechtslehrer in den USA, in Harvard und Berkeley.
Schon vor 40 Jahren lernte ich auf der Universität, dass unsere Verfassung überladen ist. Daran hat sich nichts geändert.
Das österreichische Bundesverfassungsgesetz kennt weit über 1.000 einzelne Verfassungsbestimmungen. Unter der Großen Koalition verhinderte man durch die Erhebung eines Gesetze in den Verfassungsrang (eine Zweidrittelmehrheit ist nötig dazu) eine leichte Änderung dieser. Weiter wurden die Bestimmungen dadurch der Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof entzogen.
Ich schweife ab.
Was ich sagen möchte, eine Verfassung ist ein lebendiges Dokument. Und zwar jenes, auf dem unser Vertrauen in unser Land beruht.
Unser Rechtssystem ist ein wichtiger Teil zur Regelung unseres Zusammenlebens und damit auch Basis unseres Vertrauens, wie wir unsere staatliche Gemeinschaft gestalten.
Für mich ist es notwendig, dass wir dem Staat zumindest in groben Zügen vertrauen müssen. Das sind uns die Politiker*innen schuldig. Und jene, die uns über sie informieren: die Journalist*innen.
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