Nicht nur ich bekomme eine Gänsehaut beim Gedanken einer Wiederwahl von Donald Trump, nicht nur Österreicher, Europäer, amerikanische Demokraten, auch Republikaner gibt es, die es graut.
Wenn ich mich in Übereinstimmung mit Menschen, die politisch am anderen Spektrum meiner Einstellung finde, dann geht es um Demokratie. Ich würde mich als in der Mitte definieren, etwas links von der Mitte, falls du es noch nicht geahnt hast.
Das ist derzeit der Fall. Ich höre Menschen zu, die politisch nicht meiner Meinung sind. Dazu gehören:
Der ehemalige Parteivorsitzende der Republikaner (RNC) Michael Steele
Die ehemalige Kommunikationschefin im Weißen Haus unter unter George W. Bush und bei der Kampagne zur dessen Wiederwahl, sowie bei der Präsidentschaftskandidatur von John McCain gegen Barack Obama, Nicole Wallace
Politische Strategen wie Tim Miller und Stuart Stevens. Letzterer hat das Buch: „It was all a lie“ geschrieben, in dem er auch seinen eigenen Weg beschreibt, wie es um Siegen um jeden Preis ging.
Journalisten wie Jennifer Rubin, Max Boot, Joe Scarborough und George Will
Colin Powell, früheres Regierungsmitglied unter George H. Bush
Liz Cheney oder Adam Kitzinger, die beim Untersuchungsausschuss zum 6. Jänner 2020 als einzige Republikaner teilnahmen und sich bewusst entschieden hatten, ihre politische Karriere aufs Spiel zu setzen. Und nicht mehr gewählt wurden.
Klar wird es auch, wenn Rachel Maddow von MSNBC, einem liberalen Nachrichtensender, der der demokratischen Partei nahesteht, Liz Cheney interviewt und beide sich einig sind, dass der Protest gegen Trump, und was er aus dieser Partei gemacht hat, das einzige Thema ist, bei dem sie übereinstimmen, es jetzt aber nicht Zeit ist, über politische Differenzen zu sprechen. Es geht um Demokratie. Liz Cheney ist Tochter des ehemaligen Vizepräsidenten Dick Cheney, der Donald Trump als Feigling bezeichnete, der seine Wähler anlügt.
Politisch weiß ich kaum, wo ich mit jenen Menschen übereinstimme, außer dem Recht auf freie Meinungsäußerung, freie Presse, unabhängige Justiz, Respekt gegenüber Demokratie und dem Recht unterschiedliche politische Vorstellung zu vertreten. So unwichtig ist dies wohl nicht.
Vor 90 Jahren, 1934, kam es zu den Februarkämpfen in Österreich, wo mehrere hundert Menschen starben und mehrere hundert ohne Gerichtsurteil in Wöllersdorf eingesperrt wurden. 10 Jahre später fanden sich zahlreiche dieser politischen Gegner in Konzentrationslagern der Nationalsozialisten wieder, viele starben, viele waren aktiv beim Wiederaufbau der Demokratie in Österreich.
Jene, die glauben, dass starke Männer uns aus schwierigen Zeiten führen, will ich dies zur Mahnung aufzeigen. Sie führen uns in kein Paradies, im schlimmsten Fall zu Kriegen. Es starben Menschen für die Demokratie und egal wie unzufrieden ich bin, es gibt nichts besseres, das mir einfällt.
Seit bestehen der USA kämpfen Bürgerrechtsbewegungen für eine gerechtere Gesellschaft. Seit Beginn gab es diesen Zwist zwischen der Minderheit und der Mehrheit, egal was in der Verfassung steht. Auch wenn Mehrheit und Minderheit sich immer wieder verändert.
Wahrscheinlich ist das der Punkt, der mich am meisten anspricht und nicht weil alles rund läuft. Menschen, die sich für eine bessere Welt für alle einsetzen, gibt es seit dem ersten Tag, an dem die Verfassung der USA in Kraft trat. Es lief von Anfang an nicht rund, aber es gibt von Anfang an Menschen, die sich dafür einsetzen.
Das Frauenwahlrecht wurde in Österreich (1919) früher eingeführt, als in den USA (1920), uns haben 2 verlorene Kriege demokratisch ordentliche vorwärts gebracht. Aber im Grunde müssen wir es mit den zähen Entscheidungen in der EU vergleichen, in der die 100% Zustimmung zu Entscheidungen wohl das Dümmste ist, das in der EU-Verfassung steht. In den USA müssen Verfassungszusätze eine Zweidrittelmehrheit im Kongress, also Repräsentantenhaus und Senat, erreichen und von Zweidrittel der Bundesstaaten ebenfalls ratifiziert werden. Auch wenn Zweidrittel als ein derzeit als völlig unerreichbares Ziel erscheint, haben es doch 27 Zusatzartikel in die Verfassung geschafft.
Wie widersprüchlich das sein kann, zeigt der 15. Zusatzartikel:
„Das Wahlrecht der Bürger der Vereinigten Staaten darf von den Vereinigten Staaten oder einem Einzelstaat nicht auf Grund der Rassenzugehörigkeit, der Hautfarbe oder des vormaligen Dienstbarkeitsverhältnisses versagt oder beschränkt werden.“
“The right of citizens of the United States to vote shall not be denied or abridged by the United States or by any State on account of race, color, or previous condition of servitude.”
Deutsche Übersetzung der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika der amerikanischen Botschaft in Deutschland, PDF-Dokument
Nach dem Inkrafttreten des 15. Zusatzes hatten zahlreiche schwarze Männer nicht nur Zugang zum passiven sondern auch zum aktiven Wahlrecht, sie wählten und wurden gewählt, die bis heute rein zahlenmäßig nicht wieder erreicht wurde. (Männer, denn das Frauenwahlrecht wurde erst 1920 mit dem 19. Zusatzartikel von 1919 eingeführt)
Zwischen 1865 und 1880 wurden mehr Afroamerikaner in politische Ämter gewählt als in irgendeiner anderen Periode der amerikanischen Geschichte, absolut und prozentuell.
Die Desavouierung, die Unterminierung dieses Verfassungszusatzes begann zügig nach der Ratifizierung.
Diese Zeit wird als „Reconstruction“ bezeichnet, wie zynisch das klingt, wird uns, weil es eben nicht so vertraut ist, im Deutschen klar. Wiederherstellung erinnert mich mehr an die Wiedererrichtung einer Brücke, also etwas Positivem, und nicht der Zerstörung neuer Errungenschaften. Wahlsteuern, Lese- und Schreibetest, „Grandfather clause“, die zugleich verhinderten, dass Einwanderer wählen konnten, denn deren Großvater hatte eben auch nicht gewählt. Die sogenannten „Jim Crow laws“ wurden in den Südstaaten erlassen und erst in den 1960er Jahren sukzessive aufgehoben.
Beginnend mit dem 24. Zusatz, 1960, der die Wahlsteuern aufhob und schließlich mit dem „Voting Rights Act of 1965“.
Seit 2013 werden Bestimmungen dieses Gesetzes zerstört.
Beginnend mit der Bestimmung, dass Staaten, Countys und Kommunen eine Freigabe über eine Bundeseinrichtung benötigen, vom Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten im Fall Shelby County v. Holder für ungültig erklärt. In dem mit fünf gegen vier Richterstimmen ergangenen Urteil führte das Gericht an, dass die Festlegung, welche Verwaltungseinheiten eine Freigabe der Bundesregierung benötigen, sei nicht mehr zeitgemäß, meinte der sooft lächelnde Vorsitzende John Roberts.
Seither kommt es mehr und mehr zur Zerstörung der bereits erreichten Errungenschaften.
Im Andenken an John Lewis, der einst mit Martin Luther King für das Wahlgesetz 1965 marschierte und 2020 als Mitglied des Repräsentantenhaus verstarb, wurde 2021 das John Lewis Voting Rights Act eingebracht. Die Zustimmung von 60% ist derzeit nicht erreichbar.
Die einstige Minderheit ist heute nach wie vor Minderheit, aber das Land ist bunter geworden, die einstige Dominanz der weißen Männer wird bedroht. Alle werden auf die eine oder andere Art Minderheiten, umso mehr sollte Fairness wachsen.
Doch wer gibt schon gerne Macht ab, die weißen Männer wissen das, und arbeiten mit Kräften dagegen an, die Schieflage bei Wahlen, wie Frauen und Männern wählen, nimmt zu.
Lange vorbereitet und geplant war es im Rechtssystem, 6 der 9 Richter wurden von konservativen Präsidenten eingesetzt, 5 dieser Richter von Präsidenten, die das „Popular Vote“, also die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, verloren hatten. 3 allein von Donald Trump. Neil Gorsuch, der nachdem 293 Tage lang Obama selbst die Anhörung eines neuen Obersten Richters verweigert wurde, weil angeblich im Wahljahr kein neuer Richter eingesetzt werden sollte, denn der neu gewählte Präsident soll den Willen des Volkes umsetzen. Der gleiche Senator, der dies verhinderte, Mitch McConnell, hat Amy Coney Barrett nach 26 Tagen am 26.10.2020, während schon die Briefwahl und Vorwahlen zu den Präsidentschaftswahlen 2020 im Gang waren, bestätigt. Die in-Person-Wahl fand am 3.November 2020 statt.
Beim Grinsen von Mitch McConnell welchen tollen Coup er gelandet hat, wird mir immer wieder schlecht. Hinterfotzig.
Das musste Trump gedacht haben, wenn er Geschichten und Überschriften mit den National Enquirer ab 2015 koordinierte. Ein Krawallblatt, das höchstens Kopfschütteln bei mir auslöst, weil die Geschichten so verrückt sind. Kein Wunder, dass er laufend Fake News schreit. Er glaubt vermutlich tatsächlich, dass alle so agieren und nur Idioten das nicht tun. Deshalb ist er auch so außerordentlich entrüstet, dass er angeklagt wird. Wie kann er angeklagt werden, wenn das alle so machen? Hexenjagd!
Er hat tatsächlich in Coverstories eingegriffen, er hat Lügen koordiniert, Wahrheiten begraben. David Pecker war ein jahrzehntelanger Freund. Beim National Enquirer wusste man, dass Trump am Cover die Auflage erhöhte. Mehr dazu in der Washington Post: Trump’s long, strange history with the tabloids.
Auf dieses Magazin starrt man in jedem amerikanischen Supermarkt, wenn man an der Kassa wartet. Und das Unterbewusstsein liest mit.
Ich musste kürzlich darüber nachdenken, warum ich denke, dass die meisten Menschen grundsätzlich gut sind, und andere denken, dass Menschen prinzipiell schlechte Absichten haben und nur auf ihren Eigennutz aus sind. Weder ist das eine noch andere 100 Prozent wahr, ich bin keinesfalls immer gut, aber auch nicht schlecht. Als 15-jährige lachte ich den (armen) Verehrer aus, als er das von mir sagte. Das sehe ich 50 Jahre später genauso. Die Welt ist nicht schwarz-weiß, etwa wenn Menschen sagen, dass Trump sehr charmant sein kann, auch wenn ich nicht einmal in einem Lift mit ihm fahren würde wollen.
Ähnlich wie Trump, fürchte ich, denkt auch Putin. Das machen alle so und wenn er nicht als erster zuschlägt, wird er verlieren. Er kann nicht sehen, dass seine eigenen Aktionen zur Vergrößerung der NATO führten, dass man fürchtet, er marschiert in weitere Länder ein. Er schließt von seiner Gedankenwelt, seinen Machtstrategien auf andere.
„Ich muss den anderen zuvor kommen, denn sonst werden sie gegen mich vorgehen.“ Es gibt nur Freund oder Feind. Auch wenn ich solche Freunde nicht haben möchte, ich will weder mit dem nordkoreanischen noch mit dem chinesischen Führer befreundet sein, denn auf ihre Loyalität würde ich mich nicht verlassen können. Also auf gut Deutsch, jeder könnte dein Mörder werden, Menschen mit gemeinsamen Interessen, aber nichts, was einer tatsächlichen Freundschaft nahe kommt.
David Pecker hat auf die Freundschaft gepfiffen und ist ein Abkommen mit der Staatsanwaltschaft eingegangen, um nicht angeklagt zu werden. Der Finanzchef, der CFO, von Trumps Unternehmen hingegen, Allan Weisselberg, ging nun zum zweiten Mal, für weitere 5 Monate, ins Gefängnis. Ich weiß nicht, wem ich 10 Monate meines Lebens schenken würde. Es wird wohl einen tieferen Nutzen haben und nicht unbedingt Freundschaft sein. Oder es ist so wie seine Schwiegertochter meinte, „He has more feelings and adoration for Donald than for his wife… For Donald, it’s a business. But for Allen, it’s a love affair”?
Gestern hat die Generalstaatsanwältin von Arizona Anklage gegen die Fake-Wahlmänner/Frauen in ihrem Bundesstaat erhoben. Was Trump mit all diesen Lügen der Demokratie angetan, ist massiv. Trotz über 60 verlorener Prozesse nach den Wahlen, glaubt die Mehrzahl der republikanischen Wähler, dass Biden die Wahl nicht gewonnen hat. Warum nicht mehr Demokraten in den Kongress gewählten wurden, kommt ihnen nicht in den Sinn. Glaube ist eine starke Kraft. Lügen, oft genug erzählt, wandeln sich zu geglaubten Illusionen. Kein Wunder, dass von sektenartigem Verhalten gesprochen wird.
Das Problem: es ist nicht wahr, Trump hat die Wahl verloren und manipuliert von Anfang an, das ist die Realität.
Recht kann spannend sein. Als ich mir den Gesetzestext zur Abtreibung, raussuchte, staunte ich. Denn im Paragraph über dem §97, dem zur Fristenlösung, kann jeder nachlesen, dass die Abtreibung selbst verboten ist.
Es ist Zeit, wieder und immer wieder darüber zu sprechen, so wie vor 50 Jahren im österreichischen Parlament. Der Kompromisslösung Abtreibung straffrei zu stellen, trat nach einigen Hindernissen am 1.1.1975 in Kraft.
Straffrei bedeutet aber, es gibt etwas, das unter Strafe steht. Und das findet sich einen Paragraph oberhalb.
§ 96. StGB
(1) Wer mit Einwilligung der Schwangeren deren Schwangerschaft abbricht, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen, begeht er die Tat gewerbsmäßig, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.
(2) Ist der unmittelbare Täter kein Arzt, so ist er mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, begeht er die Tat gewerbsmäßig oder hat sie den Tod der Schwangeren zur Folge, mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.
(3)Eine Frau, die den Abbruch ihrer Schwangerschaft selbst vornimmt oder durch einen anderen zuläßt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu bestrafen.
Abtreibung ist kein Thema über das Frauen einfach sprechen. Auch die Annahme, dass sie leichtfertig durchgeführt wird, bezweifle ich, das gilt mit Sicherheit für die meisten Fälle. So etwas macht niemand so nebenbei.
Allen, die meinen, dass ein Verbot Abtreibungen verhindert, widerspreche ich. Das einzige, was das Verbot mit Sicherheit mit sich bringt, ist eine Gefährdung der Frauen. Das alleine ist für mich Grund genug, mich dafür einzusetzen.
Der große Vorteil, alt geworden zu sein, ist, dass ich mein eigener Zeitzeuge geworden bin. Denn oft wurde nicht darüber gesprochen, aber es wurde – meist im Stillen.
Das erste Mal erzählte mir eine andere Frau, ein Teenager, eigentlich ein Kind, mit 12 oder 13 Jahren, eine Mitschülerin, entweder vor oder knapp nach der Legalisierung von ihrer Abtreibung. Das hat mich mehr beeinflusst, als mir damals bewusst war. Ich war zu jedem Unsinn bereit, aber ich wollte mit keinem Mann schlafen, mit dem ich nicht bereit war, auch ein Kind zu haben. Trotz meines schlechten Rufs, war ich 21, als ich zum ersten Mal mit einem schlief. Derjenige wusste nichts davon, ich erzählte es ihm nie. Warum ich kein Jungfernhäutchen mehr hatte, ist ein anderes Thema. So wie ich mich damals entschied, keine Abtreibung durchführen zu wollen, wann immer ich schwanger werden könnte. Auch davon erzählte ich niemandem. Heute spreche ich zum ersten Mal davon.
In der Zwischenzeit lernte ich von vielen Frauen, die vor 1975, vor der Fristenlösung, abtrieben.
Meine Mutter war eine davon, und ich wage zu behaupten, sie wurde von meinem Vater unter Druck gesetzt. Und sie hat ihm nie verziehen. Manchmal spürt man Ungereimtheiten und hat keine Ahnung, was nicht stimmt. Das ist der Kern von Familiengeheimnissen, unbewusst weiß man, es stimmt was nicht. Es war die Zeit um die Alzheimer-Diagnose meiner Mutter, als ich mehr zu meiner Kindheit wissen wollte, sehr unschuldig, nicht ahnend, was ich auslöste. Ich fragte, ob ich öfters bei meiner Großmutter schlief, denn in meiner Erinnerung war es nur eine unheimliche Nacht. Sie antwortete, nur einmal, als sie mit meinem Vater und ihrem Schwager nach Wien zur Abtreibung fuhr. Weiters sagte sie, wie furchtbar es war, wie hocherfreut ich auf sie zurannte. Wie konnte ich mich freuen, wenn es ihr so schlecht ging? Dass ich etwa 7 oder 8 Jahre alt war, spielte in ihrer Erinnerung keine Rolle. Ich verstand aber einiges nach 35 Jahren. (Dass mein Vater mich zu beschimpfen begann, dass ich mit diesen Fragen bei meiner Mutter viel Schmerz auslöste, wunderte mich nicht. Ich hatte endlich Antworten und blieb meiner Rolle als schwarzes Schaf der Familie treu.)
Es kam noch schlimmer, als ich ein anderes Mal fragte, ob Mutters Krebs ein gut- oder bösartig war, nachdem ich jeder und jedem Frauenarzt seit Jahrzehnten sagte, dass meine Mutter Gebärmutterkrebs hatte. Weder meine Mutter noch mein Vater konnten sich erinnern. Sie blickten nur verlegen von mir weg. Nur, dass sie so blutete, dass mein Vater fürchtete, dass sie sterben würde, erzählte er. Das war 1969. Ich habe keine Erinnerung, wie ich die Tage alleine mit meinem Vater verbrachte. Dieses Faktum wusste ich, wie ein Fakt aus dem Geschichtsbuch, ohne emotionale Verbindung. Ich war 7 Jahre alt.
Solch seltsame Bilder habe ich einige, Schnappschüsse, die ich nicht miteinander in Verbindung brachte.
Erst als ich darüber nachdachte, die Puzzleteile, die ich zu unterschiedlichen Zeiten sammelte, zusammenfügte, wurde mir klar, dass es kein Krebs war, sondern Ergebnis dieser Abtreibung, bei der sie letztendlich unfruchtbar wurde.
Das sind Ergebnisse, wenn Abtreibungen illegal sind.
Es ist Zeit, Abtreibungen aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.
Ps.
1. Meine Mutter war nicht die einzige Mutter, von der ich weiß, dass sie abgetrieben hat, als es illegal war. Und warum mein Onkel wusste, wo man abtreiben kann, sagt wohl genug. 2. Das Problem haben nicht nur wir in Österreich
In Österreich sind es meistens Journalisten, die von Gerichtsprozessen berichten. Wie schon oft, gilt mein Leid dem Fakt, dass durch die Größe unseres Landes und leider auch gewachsenen Strukturen die Medienlandschaft nicht riesig ist.
Um die richtigen Fragen zu stellen, muss ich einfach mehr wissen. Das ist der Unterschied zu meinen alltäglichen Fragen, wo ich wissen will, welches Blümchen am Wegrand wächst, und jenen, wo ich Strukturen und Zusammenhänge verstehen will.
Es wird wissenschaftlich schon einen Begriff geben, den kenne ich nicht, aber ich versuche, in dem ich die Berichterstattung eines anderen Landes beobachte und wie dort Fragen gestellt werden, zu schauen, wie es auf Österreich übertragen werden kann.
Ich habe gelernt, mir Gesetze anzuschauen, auch wie sie zustande kommen, wie bei uns die Gewaltenteilung funktioniert. Ich wünsche mir, eine Form von Vorlesung um mir wieder mal die österreichische Verfassung erklären zu lassen. Es tut mir leid, wenn wir schon nicht so viele Medien haben, hätte ich gerne zumindest die Möglichkeit bei Universitäten reinzuhören.
Warum? Ich habe einfach nicht das Sitzfleisch oder die Fähigkeit, Bücher über Recht so zu lesen, dass sie lebendig werden. Ich liebe es, dass mir fähige Juristen Recht so erklären, dass auch ich es verstehen.
Dazu benutze ich die USA.
Da sind Moderator*innen wie Ari Melber, der herrliche schlechte Witze erzählen kann, aber mir unendlich viel über Recht beibringt, er stellt die richtigen Fragen, er lädt andere Juristen ein, mit denen er Fachfragen diskutiert. Dann gibt es die Experten, die eingeladen werden. Das sind frühere oder jetzige Staatsanwält*innen, Rechtsanwält*innen, Universitätsprofessor*innen. Da ist ein Jurist, der am Muller-Report, an der Untersuchung zur „Sonderermittlung zur Beeinflussung des Wahlkampfs in den Vereinigten Staaten 2016“ mitarbeitete. Andrew Weissmann ist der Sohn eines jüdischen Emigranten, der als Achtjähriger aus Wien mit seinen Eltern nach New York floh. Er ist heute Professor an der NYU und erklärt wunderbar, Pro und Cons.
Dann die 4 Juristinnen im Podcast SistersInLaw. Joyce Vance, Jill Wine-Banks, Barb McQuade and Kimberly Atkins Stohr diskutieren einmal pro Woche die interessantesten legalen Fälle. Jill Wine-Banks war einst bei den Untersuchungen eine von 3 Juristen zu Watergate zur Behinderung der Justiz von Richard Nixon.
Das ist nur eine Auswahl von Jurist*innen, die mir Recht näher bringen. Ich werde kein Experte werden, das ist auch nicht mein Ziel, aber verstehen werde ich mehr. Und das ist genau, was ich mir wünsche.
Es gibt zwei Themenschwerpunkte, bei denen ich schwach bin, aber sehr interessiert. Volkswirtschaft ist der eine, Jus, Recht, der andere. Ich hatte gute und weniger gute Lehrer, doch den wenigen, die Recht spannend machten, bin ich sehr dankbar. Das konnten die vielen nicht so guten nicht zerstören.
In meiner kindlichen Naivität dachte ich nach der Matura, Jus würde bedeuten Gesetze auswendig zu lernen. Nichts von Interpretation, von Strukturen des Rechtssystems und möglichem Missbrauch desselben kam mir damals in den Sinn.
Heute, Jahrzehnte später, habe ich mit Richtern und Rechtsanwälten nur bei meiner Scheidung zu tun gehabt. Ich habe mich gut mit dem Richter unterhalten und war seltsam berührt, dass ich mehr von einer aus Innsbruck stammenden Rechtsanwältin geschieden wurde, als von meinem Mann, der, aus welchen Gründen auch immer, es nicht wert befand, selbst zu erscheinen. Feigheit? Angst, sich der Realität zu stellen? Egal, mir wurde es bewusst, als ich Wochen vorher die Scheidung einreichte, da saß ich alleine im Gang des Gerichts und mir wurde klar, es ist vorbei. Damals war ich traurig, bei der eigentlichen Scheidung habe ich mich mit dem Richter gut unterhalten. Der Ablauf war problemlos und der Richter bleibt mir in guter Erinnerung.
Andere Erfahrungen sind weiter hergeholt, denn sie haben mich nicht persönlich betroffen, nur Menschen, die ich kenne. Einmal ein Mann, der unter der Woche Straßen asphaltierte, am Wochenende pfuschte, um ja Geld heimzubringen. Seine Frau stattdessen bestellte und bestellte aus Katalogen und dem Internet und bezahlte nicht. Der zuständige Richter fand, er hätte es wissen müssen. Neben dem Privatkonkurs mussten beide ins Gefängnis. Ihn besuchte ich, kaufte Weihnachtsgeschenke für seine Kinder und verstand die Welt nicht recht. Würde eine Frau eingesperrt werden, weil ihr Mann einem Kaufrausch oder Spielrausch unterlag? Sie müsste dass doch auch wissen, so wie mein Bekannter.
Oder bei einer Nachbarin, die den Lügen einer anderen Nachbarin, die spielsüchtig ist/war, aufsaß. Es wusste niemand, und sie suchte durchaus Menschen, die sie bemitleiden würde. Mir z.B. erzählte sie von ihren schweren Depressionen. Sie lotete aus, wer ihr glauben würde. Beim Prozess war es wohl so, dass das Opfer selber schuld zugeschrieben und der Betrügerin großes Verständnis entgegengebracht wurde. Diese wanderte ins Gefängnis und erhielt psychologische Beratung (nachdem sie zum wiederholten Male aus dem gleichen Grunde verurteilt wurde und an Therapien erfolglos teilnahm). Das Opfer hingegen war selbst schuld, das Geld wurde nicht zurückbezahlt, weil auch dies eine falsche Geschichte war, die dem Gericht präsentiert wurde, sie schlitterte letzendes in ein Burnout und litt an schweren körperlichen Beschwerden.
Das waren meine persönlichsten Kontakte mit dem Rechtssystem. Empfand ich, dass hier wirklich Recht gesprochen wurde? Wurden die richtigen bestraft? Ein bitterer Geschmack breitet sich aus.
Und ich musste an Julian Hessenthaler denken. Ob er ein guter Mensch ist, weiß ich nicht. Da Herstellung oder Verbreitung des Ibiza-Videos nach spanischem Recht nicht gesetzeswidrig ist, wurde ihm Kokainhandel unterstellt. Den Ablauf des Prozesses empfinde ich als äußerst fragwürdig, da wurde jemand bestraft, von dem ich nicht überzeugt bin, dieses Verbrechen (nämlich Drogenhandel) begangen zu haben. Eine seltsame Form von Rache und Zurechtweisung kommt mir da eher in den Sinn. Zum Nachlesen.
Ich schäme mich stellvertretend für alle, die im österreichischen Rechtssystem arbeiten. Staatsanwälte, die Razzien beantragen, die später als verfassungswidrig verurteilt werden und kein schlechtes Gewissen haben, es im Gegenteil immer noch als rechtens empfinden. Ich schäme mich. Richter, die sich widersprechende drogensüchtige Zeugen als glaubwürdig bezeichnen, weil deren Widersprüche nur zeigen, dass sie sich nicht abgesprochen haben, erhöhen nicht mein Vertrauen. Also, wenn jemand eine Aussage bestätigt, ist er weniger glaubwürdig? Was für ein Rechtsverständnis hat dieser Richter?
Ich gestehe, bevor Donald Trump in seinem Mar-a-Lago Ressort Kisten von klassifizierten Dokumenten illegalerweise aufbewahrte, war mir die Tragweite von Unterlagen der Geheimdienste nicht wirklich klar. In den USA werden regelmäßig Menschen verurteilt, die mit diesen Dokumenten nicht sorgsam umgehen. In Österreich lässt die Staatsanwältin Polizisten einer Spezialeinheit zur Bekämpfung der Straßenkriminalität solche Dokumente (und Computer) beschlagnahmen, egal ob jene die notwendigen Sicherheitsfreigaben haben oder nicht.
Ich schäme mich und ich finde, in unserem Justizsystem gehört anständig aufgeräumt. Es ist eine Schande.
Endlich habe ich einmal die Möglichkeit in Österreich Medien zu vergleichen, denn das Hauptthema der vergangenen Tage ist Österreichs Spionageaffäre. Ich höre mich durch mir bekannte und unbekannte Podcasts und lerne.
“Das sieht man zum Beispiel bei der BVT-Razzia. Ich glaube, da hat zum Beispiel die WKStA nicht ganz den Überblick gehabt, was sie mit so einer Razzia international und national auslösen kann.”
Plötzlich fällt dieser kleine Nebensatz und ich denke mir, stimmt das so? Ich selbst habe meine eigenen Gedanken und auch Vorbehalte gegenüber der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, aber der Skandal dieser Razzia ist nicht alleine auf deren Mist gewachsen. Der Eindruck jedoch durch diesen nur beiläufig genannten Satz ist, dass diese Einheit selbst entweder korrupt oder schlicht unfähig ist.
Das stört mich und ich beginne zu graben. Denn ich habe das ein wenig anders in Erinnerung. Ich gestehe, ich bin kein Fan von zu vielen Details, ich will einen groben Überblick gewinnen und der war, als dieses Drama begann, nicht möglich. Zu vieles war unbekannt und wurde erst über die Jahre klarer und sichtbarer. Wenn ich mich jetzt auf dieses Spiel einlasse, lese ich da und dort und dann nochmal und wieder, und die Dämmerung der Erkenntnis beginnt. Jetzt habe ich endlich die Möglichkeit ein Bild zu sehen. Anscheinend ist die Geschichte noch immer nicht fertig, denn mein Wunsch, ein Buch darüber zu lesen, verhallt bislang ungehört im Universum. Noch ist es nicht geschrieben.
So beginnt meine kleine Recherche.
Der Satz klingt, als ob die unabhängige Staatsanwaltschaft plötzlich aus dem Nichts heraus eine Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) durchführte.
Oberflächlich gesehen ist es eine einfache, genauer betrachtet eine verdammt komplizierte Geschichte.
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hatte eine Hausdurchsuchung nicht nur im BVT, sondern auch bei einem Spitzenbeamten des BVT angeordnet. Ein Journalrichter hatte sie in den Abendstunden abgesegnet, offenbar ohne sich näher mit dem Sachverhalt zu beschäftigen, wie er später zugab, schreibt Anna Thalhammer im Profil.
Das alleine bringt mich zum Kochen. Ein Richter muss so etwas abzeichnen, damit es nicht zu einer Überschreitung von Grenzen kommt und unser Rechtssystem nicht gebeugt oder gar gebrochen wird. Er oder sie darf nicht einfach ein Hakerl drunter machen und denken, es wird schon stimmen. Dann brauchen wir keine Richter, wenn er oder sie das Hirn nicht einschaltet und seiner/ihrer Aufgabe nicht nachkommt.
Anna Thalhammer, jetzige Chefredakteurin des Profils, einst selbst im Visier der WKStA schreibt in einem für mich unglaublich neutralem Ton eine fantastische Geschichte. Sie stellt wesentliche Fragen.
„Wie konnte es sein, dass die Polizisten einfach Operationsdaten anderer Länder einsehen dürfen? Wie war es überhaupt so weit gekommen? Und ich fühlte: Das ist eine politische Intrige, nur wer steckt dahinter?“
Ex-Spionageabwehrchef Bernhard P. Seine Gedanken am Abend nach der Razzia
„Ist es Zufall, dass man ausgerechnet auf P. losging, der im BVT für Russlandspionage zuständig war? Ist es Zufall, dass in den sichergestellten Daten nach Verbindungen der FPÖ, Russland und Ukraine gesucht wurde, wie aus dem Akt hervorgeht? Wollte die damals neue, politische Führung im Innenministerium vielleicht einfach nur zu gern wissen, was der Staatsschutz weiß? Weder P. noch sein Anwalt glauben noch an Zufälle. Dafür haben sie in den vergangenen Jahren zu viel gesehen.“
Viele Fragen und noch immer gibt es nicht alle Antworten. Erst nach unzähligen Berichten beginne ich nun langsam den Rahmen zu sehen. Es fügt sich. Und es fügt sich leider so, dass ich wieder bei einem meiner Lieblingsthemen lande: der Gewaltenteilung.
Es war jene Zeit, als die ÖVP kein Problem hatte, der FPÖ, genauer Herbert Kickl, das Innenministerium zu überlassen, das von 2000 bis 2017 von ihnen gestellt wurde, jene ÖVP, die die WKStA als eine Staatsanwaltschaft in roten Händen bezeichnet, weil sie Korruption in alle Richtungen untersucht (und nicht nur in Richtung ihrer Feinde). Der parteiunabhängige Justizminister in der Regierung Kurz (2017-2019) hingegen macht den Anschein, nicht die geringste Ahnung von Politintrigen gehabt zu haben.
Am Ende saßen sogar Ermittler des Innenministeriums bei der WKStA, schrieben auf Briefpapier der Justiz und benutzten ihre Mailadressen.
Die Gewaltenteilung eines demokratischen, liberalen Rechtsstaats war dadurch bis zu einem gewissen Grad schlicht abgeschafft – und niemand interessierte sich dafür.
Gewaltenteilung dient nicht hauptsächlich der Verteilung von Macht sondern viel mehr der gegenseitigen Kontrolle. Das erst macht die Stärke einer Demokratie aus. Wird die Justiz erstmal ausgehebelt, funktioniert ein demokratisches System nicht mehr richtig. Auch unter dem Nationalsozialismus gab es Gerichte, aber unabhängige Richter nicht mehr.
Nach dem Rücktritt der Türkis-Blauen Regierung drehten die Übergangsminister Clemens Jabloner (Justiz) und Wolfgang Peschorn (Innenministerium) die selbsterrichtete Justizpolizei ab, schreibt Thalhammer weiter.
Im ihrem Artikel sind fast alle meine Bedenken zur WKStA genannt. Es ist wie ein Fluch, denn die Notwendigkeit einer solchen Staatsanwaltschaft ist für mich keine Frage, aber die in meinen Augen leider zu oft dilettantischen Anklagen schaden dem wichtigen Auftrag.
Ich habe die zwei Anklageschriften Jack Smith gelesen, in denen Donald Trump auf bundesstaatlicher Ebene angeklagt wird. Die sind verständlich klar und faktenbasiert, sie werden auch sprechende Anklageschriften genannt (das wird nicht in allen Anklagebehörden der USA so gehandhabt). Sie sind so geschrieben, dass selbst ein juristischer Trottel wie ich sie verstehen kann.
Bei den Anklagen der WKStA hatte ich immer wieder den Eindruck, als ob guter altwienerischer Basena-Tratsch Eingang in die Anklageschriften findet. Schon vor dem Prozess fragte ich mich immer wieder, kommt da noch mehr? Bei den wenigen, die ich beobachtete, kam nicht mehr. Was letztendlich zu Freisprüchen führte.
Nur zum Vergleich: in den USA werden vergleichbare Prozesse zu 95% gewonnen, denn die Bundesstaatsanwaltschaft wägt nicht nur selbst ab, ob ein Prozess gewonnen werden kann, eine Grand Jury stimmt ab, bevor es zu einer tatsächlichen Anklage kommt. Dieser werden die Fakten der Staatsanwaltschaft präsentiert, erst wenn die Grand Jury bestätigt, dass genügend Verdachtsmomente bestehen, kommt es zur Anklage.
„Currently federal prosecutors tout above a 95% conviction rate. This is primarily due to the fact that most cases never make it to trial. Most defendants end up taking a plea bargain rather then risk a potentially much greater prison sentence which could be dealt them if they actual went to trial and lost.“
in 165 Fällen weitere Ermittlungsansätze zu anhängigen Ermittlungs- bzw. Hauptverfahren
bisher in mehr als 146 Anklagen:
93 Verurteilungen
35 Diversionen
36 Freisprüche
Statistisch können diese Zahlen nicht weiter verwendet werden, denn 93+35+36 ergibt 164 nicht 165. Ich habe schlicht keine Ahnung, was die Zahlen aussagen sollen. Und leider sind die wenigen Medienberichte nicht aussagekräftiger sondern gut abgeschrieben.
Außerdem, wer weiß schon, was Diversionen sind. Und ich lerne wieder einmal. „Die Diversion ist die Möglichkeit der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts, bei hinreichend geklärtem Sachverhalt auf die Durchführung eines förmlichen Strafverfahrens zu verzichten. Der Beschuldigte bzw. der Angeklagte bekommt im Fall der Diversion das Angebot, sich einer belastenden Maßnahme zu unterwerfen (z.B. gemeinnützige Arbeit). Wenn ein Strafverfahren mittels Diversion beendet wird, erfolgt kein Schuldspruch und keine formelle Verurteilung. Es erfolgt auch keine Eintragung im Strafregister.“ Das ist ungefähr das, was als „Plea Bargain“ in den USA bezeichnet wird, aber ohne Eintragung ins Strafregister. So war es bei der Falschaussage von Bettina Glatz-Kremsner.
Was habe ich gelernt? Man kann der WKStA alles mögliche vorwerfen, doch waren im Falle der BVT-Razzia gewaltig politische Interessen und Manipulationen mit im Spiel. Die Vermutung vieler Journalist*innen, dass die FPÖ herausfinden wollte, was der Staatsschutz über ihre Verbindungen zu Russland weiß, erscheint mir naheliegend.
Und es tut mir leid zu sagen, dass dieser leichtfertig hingeworfene Satz eines Journalisten ist für mich untergriffig und manipulativ. Ich merke, wie sensibel ich geworden bin. Ich versuche, so wenig wie möglich und so gut ich kann, meinen und anderen Vorurteilen auf die Schliche zu kommen.
Das waren wieder mal viel Worte für eine schlichte Erkenntnis. Aber eines hat es gebracht: Dank Anna Thalhammer habe ich eine weitere Wochenzeitung abonniert.
Ich bin langsam, extrem langsam. Ich wiederhole immer wieder und immer wieder, ich habe Fotos von einer und derselben Art von Blume Jahr für Jahr gemacht, um sie in einer App (Flora Incognita) nachzuschlagen.
Ich habe eine App, die mir sagt, dass es der Jupiter ist, den ich am Morgen gesehen habe und nicht die Venus.
Aber es waren nicht nur Blumen und Sterne. Politik war ein Riesenunterfangen für mich. Denn es ist so vielfältig und vielschichtig, dass ich selbst jetzt nach Jahren nicht weiß, wie ich es einfach wiedergeben könnte. Ich habe mich für Miniaspekte in diesem Blog entschieden.
Meistens bin ich sehr glücklich, in einem kleinen Land zu leben. Der Nachteil ist, dass ich nicht auf 100 verschiedene Weisen über ein Ereignis nachhören oder schauen kann. Ja, Hören und Sehen sind meine Favoriten, wenn es ums Lernen geht. Lesen nicht so. Früher war das die einzige Möglichkeit, neben den Vorlesungen auf der Universität. Wie gerne würde ich an Vorlesungen einfach zuhause teilnehmen. Ich will keinen Sitzplatz wegnehmen. Eine Kamera würde reichen.
Was mache ich stattdessen? Ich habe jene Podcasts, die sich mit den großen Skandalen Österreichs befassen, einfach immer wieder angehört. „InsideAustria“ von Standard und Spiegel ist mit der Wertvollste.
Traurig ist, dass ich auf diverse politische Aspekte Österreichs durch andere Länder und deren Medien, die sich mit den dortigen Problemen auseinandersetzen, gebracht wurde. Kleines Land bedeutet leider auch weniger Medien.
Was meine ich?
Als ich wissen wollte, wieviele Gesetze durch Regierung und wieviele durch die Opposition eingebracht wurden, welche in Kraft traten und welche nicht, stand ich vor der Tatsache, dass ich die Statistik wohl selbst machen müsste. Zugänglich ist es.
Warum wollte ich dies wissen?
Gewaltenteilung habe ich großartig in der Schule gelernt. Dass diese in Österreich nicht ganz so getrennt sind, habe ich erst später durch Vergleiche mit anderen Staaten gelernt. Die Art und Weise, wie unsere Demokratie definiert ist, gibt viel der legislativen Kraft in die Hand unserer Exekutive. Das bedeutet unsere Regierung (die Exekutive) macht die meisten Gesetze, bringt sie in den Nationalrat. Was ich wissen wollte, gibt es auch welche, die die Opposition einbringt? Ja, die gibt es, aber ich kann nicht sagen wie viele und ob sie in Kraft getreten sind. Das war mir dann doch zu langweilig (denn es sind sehr viele, die in einer Gesetzesperiode verabschiedet wurden, auch das war neu für mich).
Spannend ist aber auch, wie sehr eine Regierungspartei (quasi Großteil der Exekutive) unsere Judikative angreift.
Was wir dabei übersehen, ist, dass dies auch ein Angriff auf einen demokratischen Grundsatz ist. Das wird klar, wenn ich auf die langsame Umwandlung von demokratischen Ländern in autokratische schaue. Etwa die Justizreform Polens 2015, die eine Disziplinarkammer für Richter brachte und die damit die Unabhängigkeit der Justiz so beeinträchtigte, dass der EuGH Polen verurteilte. Die neue Regierung ist nun dabei diese Aushebung des Rechtssystems Schritt für Schritt wieder rückgängig zu machen. Der Präsident, ein Vertreter der autokratischen Partei, stellt sich dem entgegen so gut er kann.
Demokratisch agieren, ist auch verdammt zäh und langsam.
Politische Parteien, die Gewaltenteilung für gut und recht befinden, aber nur, wenn sie sie nicht betreffen, gefährden die Demokratie.
Die türkise ÖVP greift unser Justizsystem gerne an, wenn Untersuchungen in ihre Richtung gehen. Viele Argumente, die vorgebracht werden, habe ich in den USA bei dem ehemaligen Präsidenten gehört. Es gibt immer wieder Wellen in Österreich, die klingen wie aus anderen Ländern.
Und während wir gerne auf die anderen zeigen, wie entsetzlich deren System sei, bin ich erschüttert, dass demokratiefeindliche Argumentation sich weltweit gleicht.
Seltsamerweise wird es einerseits als Gut hochgehalten und zugleich als Selbstverständlichkeit betrachtet.
Was meine ich?
Sowohl Politiker*innen und Journalist*innen nehmen es als gegeben hin, dass ihrer Arbeit vertraut wird. Das ist es aber gar nicht. Ich muss die Chance haben, mich zu informieren. Es kann nicht sein, dass es auf blindem Vertrauen basiert. Darauf scheinen die einen wie die anderen zu vertrauen und wundern sich, dass das Vertrauen in sie schwindet. Wer ist hier naiv?
Mein Spielplatz war die USA, denn einerseits bin ich der Sprachemächtig und andererseits ist es so ein großes Land, dass es reichlich nationale Medien gibt. Als Vergleich müsste ich eine Plattform für ganz Europa wählen. Während wir in der EU (450 Millionen) stolz auf unsere nationalen und regionalen Unterschiede sind, werfen wir liebend gerne Menschen in den USA (339 Millionen) in einen Topf.
Der Spielplatz war gut gewählt. Ich hatte viele Medien, viele Wikipedia-Einträge nicht nur zu Politiker*innen, sondern auch Journalist*innen. Während ich in Österreich mir einen Google-Alert einrichtete, um über Aktivitäten „meiner“ Nationalratsabgeordneten informiert zu werden, habe ich in den USA einfach einen Newsletter abonniert und wurde so von einem Mitglied des Repräsentantenhaus informiert, was er im Congress für die Menschen in seinem Wahlbezirk unternommen hat. Das erfahre ich in Österreich nicht, die Abgeordneten schicken ihre Mitteilungen in erster Linie zur APA, der Österreichischen (A) Presseagentur (PA). Unsere Abgeordneten werden durch ein Verfahren den jeweiligen Wahlbezirken in den Bundesländern zugeordnet. Aber im Grunde ist es die „Partei“, die zählt. Ich habe viele Menschen gefragt, ob sie wissen, wer für sie im Nationalrat sitzt. Von den regionalen kennt man einige, aber national? Für mich im Burgenland ist es einfach, es sind nur fünf. Gekannt habe ich sie nicht, bis auf jene, die in Regierungen oder national für einen anderen Posten aufgestellt wurden. Aber in Wien kannte ich die regionalen (sprich Bezirksvorsteher) auch nicht.
Niemand kommt in Österreich auf die Idee, sich direkt an seinen Nationalratsabgeordneten zu wenden.
In den USA ist das ein durchaus übliches Vorgehen, wie mir eine Freundin erzählte, weil sie selbst unzählige Briefe geschrieben hat.
Die Struktur des amerikanischen Parlaments ist völlig anders als das unsere hier in Österreich. Aber ich frage mich immer, könnten wir uns nicht ein wenig abschauen, was durchaus interessant ist? Und ebenso, was wir gar nicht wollen. Die USA hat eine alte Demokratie, das bedeutet aber auch, das vieles für eine andere Zeit passend war, vieles für heute nicht. Wir hatten mehrere Anläufe, um die Regeln unserer Demokratie zu überarbeiten. Ob das 1867 beim Ausgleich unterm Kaiser war, nach dem 1. Weltkrieg, dem Durcheinander während der 1. Republik, unter den Nationalsozialisten, und nach dem 2. Weltkrieg. Wir konnten schrauben. Wesentlich leichter durch die historischen Ereignisse als die USA, die als Staat Bestand hat. Die Zusätze zur Verfassung benötigen nicht nur 2/3 des Parlaments sondern auch jene der einzelnen Bundesstaaten. Auch wenn Kelsen, dem Vater unserer Verfassung, weit über unsere Grenzen bekannt ist (für Experten des Verfassungsrechts) wissen wir wenig über unsere Verfassung. Hans Kelsen saß im österreichischen Verfassungsgerichtshof, musste emigrieren und war ein bedeutender Rechtslehrer in den USA, in Harvard und Berkeley.
Schon vor 40 Jahren lernte ich auf der Universität, dass unsere Verfassung überladen ist. Daran hat sich nichts geändert.
Das österreichische Bundesverfassungsgesetz kennt weit über 1.000 einzelne Verfassungsbestimmungen. Unter der Großen Koalition verhinderte man durch die Erhebung eines Gesetze in den Verfassungsrang (eine Zweidrittelmehrheit ist nötig dazu) eine leichte Änderung dieser. Weiter wurden die Bestimmungen dadurch der Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof entzogen.
Ich schweife ab.
Was ich sagen möchte, eine Verfassung ist ein lebendiges Dokument. Und zwar jenes, auf dem unser Vertrauen in unser Land beruht.
Unser Rechtssystem ist ein wichtiger Teil zur Regelung unseres Zusammenlebens und damit auch Basis unseres Vertrauens, wie wir unsere staatliche Gemeinschaft gestalten.
Für mich ist es notwendig, dass wir dem Staat zumindest in groben Zügen vertrauen müssen. Das sind uns die Politiker*innen schuldig. Und jene, die uns über sie informieren: die Journalist*innen.