Im Strafgesetzbuch

Recht kann spannend sein. Als ich mir den Gesetzestext zur Abtreibung, raussuchte, staunte ich. Denn im Paragraph über dem §97, dem zur Fristenlösung, kann jeder nachlesen, dass die Abtreibung selbst verboten ist.

Es ist Zeit, wieder und immer wieder darüber zu sprechen, so wie vor 50 Jahren im österreichischen Parlament. Der Kompromisslösung Abtreibung straffrei zu stellen, trat nach einigen Hindernissen am 1.1.1975 in Kraft.

Straffrei bedeutet aber, es gibt etwas, das unter Strafe steht. Und das findet sich einen Paragraph oberhalb.

§ 96. StGB
  1. (1) Wer mit Einwilligung der Schwangeren deren Schwangerschaft abbricht, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen, begeht er die Tat gewerbsmäßig, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.
  2. (2) Ist der unmittelbare Täter kein Arzt, so ist er mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, begeht er die Tat gewerbsmäßig oder hat sie den Tod der Schwangeren zur Folge, mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.
  3. (3)Eine Frau, die den Abbruch ihrer Schwangerschaft selbst vornimmt oder durch einen anderen zuläßt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu bestrafen.

Abtreibung ist kein Thema über das Frauen einfach sprechen. Auch die Annahme, dass sie leichtfertig durchgeführt wird, bezweifle ich, das gilt mit Sicherheit für die meisten Fälle. So etwas macht niemand so nebenbei.

Allen, die meinen, dass ein Verbot Abtreibungen verhindert, widerspreche ich. Das einzige, was das Verbot mit Sicherheit mit sich bringt, ist eine Gefährdung der Frauen. Das alleine ist für mich Grund genug, mich dafür einzusetzen.

Der große Vorteil, alt geworden zu sein, ist, dass ich mein eigener Zeitzeuge geworden bin. Denn oft wurde nicht darüber gesprochen, aber es wurde – meist im Stillen.

Das erste Mal erzählte mir eine andere Frau, ein Teenager, eigentlich ein Kind, mit 12 oder 13 Jahren, eine Mitschülerin, entweder vor oder knapp nach der Legalisierung von ihrer Abtreibung. Das hat mich mehr beeinflusst, als mir damals bewusst war. Ich war zu jedem Unsinn bereit, aber ich wollte mit keinem Mann schlafen, mit dem ich nicht bereit war, auch ein Kind zu haben. Trotz meines schlechten Rufs, war ich 21, als ich zum ersten Mal mit einem schlief. Derjenige wusste nichts davon, ich erzählte es ihm nie. Warum ich kein Jungfernhäutchen mehr hatte, ist ein anderes Thema. So wie ich mich damals entschied, keine Abtreibung durchführen zu wollen, wann immer ich schwanger werden könnte. Auch davon erzählte ich niemandem. Heute spreche ich zum ersten Mal davon.

In der Zwischenzeit lernte ich von vielen Frauen, die vor 1975, vor der Fristenlösung, abtrieben.

Meine Mutter war eine davon, und ich wage zu behaupten, sie wurde von meinem Vater unter Druck gesetzt. Und sie hat ihm nie verziehen. Manchmal spürt man Ungereimtheiten und hat keine Ahnung, was nicht stimmt. Das ist der Kern von Familiengeheimnissen, unbewusst weiß man, es stimmt was nicht. Es war die Zeit um die Alzheimer-Diagnose meiner Mutter, als ich mehr zu meiner Kindheit wissen wollte, sehr unschuldig, nicht ahnend, was ich auslöste. Ich fragte, ob ich öfters bei meiner Großmutter schlief, denn in meiner Erinnerung war es nur eine unheimliche Nacht. Sie antwortete, nur einmal, als sie mit meinem Vater und ihrem Schwager nach Wien zur Abtreibung fuhr. Weiters sagte sie, wie furchtbar es war, wie hocherfreut ich auf sie zurannte. Wie konnte ich mich freuen, wenn es ihr so schlecht ging? Dass ich etwa 7 oder 8 Jahre alt war, spielte in ihrer Erinnerung keine Rolle. Ich verstand aber einiges nach 35 Jahren. (Dass mein Vater mich zu beschimpfen begann, dass ich mit diesen Fragen bei meiner Mutter viel Schmerz auslöste, wunderte mich nicht. Ich hatte endlich Antworten und blieb meiner Rolle als schwarzes Schaf der Familie treu.)

Es kam noch schlimmer, als ich ein anderes Mal fragte, ob Mutters Krebs ein gut- oder bösartig war, nachdem ich jeder und jedem Frauenarzt seit Jahrzehnten sagte, dass meine Mutter Gebärmutterkrebs hatte. Weder meine Mutter noch mein Vater konnten sich erinnern. Sie blickten nur verlegen von mir weg. Nur, dass sie so blutete, dass mein Vater fürchtete, dass sie sterben würde, erzählte er. Das war 1969. Ich habe keine Erinnerung, wie ich die Tage alleine mit meinem Vater verbrachte. Dieses Faktum wusste ich, wie ein Fakt aus dem Geschichtsbuch, ohne emotionale Verbindung. Ich war 7 Jahre alt.

Solch seltsame Bilder habe ich einige, Schnappschüsse, die ich nicht miteinander in Verbindung brachte.

Erst als ich darüber nachdachte, die Puzzleteile, die ich zu unterschiedlichen Zeiten sammelte, zusammenfügte, wurde mir klar, dass es kein Krebs war, sondern Ergebnis dieser Abtreibung, bei der sie letztendlich unfruchtbar wurde.

Das sind Ergebnisse, wenn Abtreibungen illegal sind.

Es ist Zeit, Abtreibungen aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.

Ps.

1. Meine Mutter war nicht die einzige Mutter, von der ich weiß, dass sie abgetrieben hat, als es illegal war. Und warum mein Onkel wusste, wo man abtreiben kann, sagt wohl genug. 2. Das Problem haben nicht nur wir in Österreich

Paragraf 218: Reform oder Stagnation beim Schwangerschaftsabbruch | quer vom BR

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