Das fragte sich 2006 Stormy Daniels, die 27-jährige, als sie das Hotelzimmer mit dem in Shorts und t-Shirt sitzenden späteren Präsidenten verließ. „ I feel ashamed that I didn’t stop it“, sagte sie in ihrer Zeugenaussage. Er hatte sie ja nur auf ein Abendessen eingeladen. Das Essen kam nie. „Wie habe ich das nur so falsch verstanden?“, fragte sie sich.
Auch E. Jean Carroll wunderte sich „What did I do to let it go here?“ Was habe ich nur gedacht, dass es soweit gekommen ist. Das war in einem New Yorker Kaufhaus in den 1990ern, wo ein Bekannter sie fragte, ob er sie begleiten dürfe, weil er auf der Suche nach einem Geschenk war. Der Richter sagte nach der Urteilsverkündung, dass es, was landläufig als Vergewaltigung bezeichnet wird, gekommen ist.
„Ich fange sofort an, laut zu schreien, wenn ich nicht rausgehen kann“ sagte ich. Ich war 16 und habe mich mit einem Mann an einem sonnigen Sommertag über seine Familie, Kinder in meinem Alter und seine Arbeit auf einer Bank in der Sonne sitzend unterhalten. Ich war nur neugierig und er wollte „nur“ etwas aus seinem Zimmer holen. Mein Glück war wohl, dass der Gang voll mit anderen Hotelgästen war und man mein Geschrei wohl hören würde. Ich beschimpfte ihn weiter mit den Worten, dass ich meinen Vater durch die Wohnung prügeln würde, wenn er so etwas tun würde.
Und ich schämte mich. Ich habe niemand davon erzählt, weil ich mir so dumm vorkam.
Auch später als es sich tatsächlich wie eine Vergewaltigung anfühlte (nicht einmal jetzt konnte ich im ersten Schwung schreiben, dass es eine Vergewaltigung war, sondern sich „nur“ anfühlte), nicht von einem Fremden, sondern von meinem betrunkenen Freund, war es Scham. Nicht nur einmal weinte ich am Ende, was sich wie eine Vergewaltigung anfühlte (und somit eigentlich auch war) und dachte schließlich, meine Tränen wären unsichtbar. Erst Jahre später lernte ich, dass man meine Tränen sehen kann. Denn ein Freund schlief bei mir, weil gerade mein Vater gestorben war, und als ich mitten in der Nacht weinte, wachte er auf und nahm mich in den Arm. Er war nicht der einzige, der mich trösten konnte. Es gab Männer, die mich trösten konnten. Ein Gefühl, dass ich aus meiner Beziehung nicht kannte, Trost.
Es ist immer Scham. Es ist immer die Suche nach eigener Schuld, wenn Männer einen missbrauchen. Und es ist immer die Scham, dass man niemandem davon erzählen mag oder kann.
Abgesehen davon, kommt oft der Moment, dass die Aussage angezweifelt wird. Ich kenne diese Verzweiflung, wenn dir Menschen nicht glauben, die dich und den Vergewaltiger kennen. Keiner glaubte mir, nur jene, die ausschließlich mich kannten. Denn es sind doch „normale“ Männer, die können das nicht gemacht haben. Es sind immer NORMALE Männer.
Wie sollte man in so einem Fall überhaupt auf die Idee kommen jemanden anzuzeigen?
Um eines klar zu stellen, ich glaube Frauen, selbst wenn ich den Mann kenne und es sich vielleicht auch noch um gute Freunde handelt. Und ich höre den Zweifel, wenn ich anderen Frauen davon erzähle, die den Mann kennen. Vielleicht bin ich auch nur so geprägt auf Grund meiner eigenen Erfahrungen, für mich ist es eben nicht unvorstellbar, dass völlig normale Männer so handeln. Ich weiß, dass sie so handeln.
Am Schlimmsten war allerdings, als mein Ex meinte, der mich 20 Jahre kannte und von meinem schwierigen Verhältnis mit meinem Vater wusste, als ich an seltsamen Erinnerungen zu arbeiten begann, „Vielleicht ist es nur der Protest des kleinen Mädchens, das den Vater heiraten möchte.“
Ödipuskomplex? Wirklich? Ernsthaft? Das Erste, was ihm einfiel, war, an mir zu zweifeln. Mit dem Mann war ich solange zusammen? Ihm, dem ich aufhörte von meinen Tränen zu erzählen, wenn ich von meinen Eltern kam, weil es ihn nervte.
Manchmal zweifle ich an mir selbst, aber noch viel mehr verstehe ich andere Frauen, wenn wir unlogisch agieren. Scham und Schuld. Und beides absolut nicht gerechtfertigt.
Als ich diesen Missbrauch in meinem Leben begann anzuschauen, fragte ich andere Frauen. Damals erzählten mir viele von ihren Erfahrungen. Es waren fast alle Frauen, mit denen ich damals sprach. Jede hatte eine Erfahrung gemacht.
Wir schämen uns und heute könnte ich nicht mehr so unschuldig diese Fragen stellen: wie kam ich in diese Situation? Denn es gibt nur eine Antwort: weil es Männer waren, die mich in diese Situation brachten!
Eine Freundin habe ich, die es rausruft, laut und für viele hörbar, so dass Zahlreiche sich verschämt wegdrehen. Ich bewundere sie. Ihren Ex habe ich aufmerksam, aber auch rücksichtslos erlebt. Mir wurde allerdings furchtbar schlecht, als ich ihn zu ihr sagen hörte, du hast mein Kind umgebracht. Sie war schwanger und hatte das Kind kurz davor verloren. Da ist etwas in mir gestorben. Das war lange, bevor sie ihre Erfahrungen der Welt erzählte. Danke, ich bewundere deinen Mut.