Studentenprotest

Eigentlich sollte man sie als natürliche Erscheinung betrachten, sie treten auf, immer wieder, mit mehr oder weniger Erfolg.

Ich war auch Teil einer, und habe mich nun im Nachlesen in den Weiten der Vergangenheit verfangen. Denn mir wurde klar, dass mein ganzes Leben von Regierungen geprägt war, die Sparpakete beschlossen hatten. Eines nach dem anderen. Doch das ist ein Thema für einen weiteren – späteren – Beitrag. In meinem Leben wurde im Grunde immer etwas weggenommen und das einzige seltsame Zuckerl waren Steuererleichterungen. Zumindest ist das das einzige das mir einfällt. Nein, da war noch das Klimaticket als positives Give-away.

1987 hat die erste Große Koalition nach der Ära Bruno Kreiskys ein Sparpaket beschlossen. Ich wollte 1988 eigentlich meine Dissertation zu Ende schreiben und plötzlich stand ich da, keine Kinderbeihilfe, keine Freifahrt zur Uni, keine vergünstigte Monatskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel, keine Krankenversicherung mit den Eltern mehr. Ich selbst konnte mich nur an die Kinderbeihilfe erinnern, aber es war noch ein ganzer Patzen mehr, die günstige Jahreskarte in Wien kam erst Jahrzehnte später, als Studenten konnten wir uns noch günstig selbst versichern, wofür ich vorher allerdings nichts zahlen musste. Nach Innsbruck, zu den Eltern zu fahren, wurde viel teuerer.

Ich habe mir einen Job gesucht, (den ich heiß liebte) war aber sofort bereit beim Streik, der an der Publizistik begann, meiner Studienrichtung, teilzunehmen. Heute frage ich mich, wie wir das alles koordiniert hatten, ohne Internet, ohne Handys, wir mussten immer vor Ort Informationen austauschen. Ebenso schwierig ist es, heute nachzulesen, wie die Rezeption auf jene Proteste war. Zeitungen aus jener Zeit sind online nicht verfügbar. Die österreichische Mediathek bietet nicht viel aus jener Zeit. Der ORF natürlich auch nicht.

Uns, mir und auch jenen, mit denen ich zu tun hatte, war klar, dass wir nicht die einzigen waren, die hier plötzlich mit erheblichen Kürzungen zu kämpfen hatten.

Wir hatten am 19.10.1987 nach einer Hörer*innenversammlung auf unserem Institut das Audimax der Uni Wien besetzt. Die nächsten Tage habe ich vielen zugehört, habe diskutiert, habe viel gelernt.

Ich habe mit Studienkolleg*innen begonnen Podiumsdiskussionen zu organisieren, nicht in besetzten Hörsälen sondern in ordentlich angemeldeten und reservierten Hörsälen, die schließlich nach dem Ende der Streiks stattfanden. Organisieren bedeutete auch Sponsoren zur Bezahlung der Hörsäle zu finden, koordinieren, kontaktieren, auch zahlreiche Gespräche mit Geladenen und auch jenen, die nicht wagten entgegen der Weisung des ORF-Generals auf die Bühne zu gehen. zu führen. Wir luden Medienvertreter ein über das Budget und die neue große Koalition zu sprechen, und letztlich fand eine große Veranstaltung im Audimax Wochen später statt, und zwar über die mögliche Abschaffung der damals berühmtesten Diskussionsendung des ORF, dem „Club 2“ zu sprechen. Ich saß mit Journalist*innen und Mediensprecher*innen der Parteien auf der Bühne. Ich gestehe, in der Vorbereitung habe ich viel Respekt vor hochangesehen Journalisten (es waren nur Männer!) verloren. Ich sah deren riesigen Wohnungen, selbst Häuser, Villenetagen, hörte deren Gejammer zu, selbst Anrufe mitten in der Nacht gab es, weil sie um ihr Wohlbefinden besorgt waren, während ich in meiner Studentenwohnung mit meinem Bad in der Küche lebte und mein Leben gerade auf den Kopf gestellt wurde und für einen Stundenlohn einer Reinigungskraft arbeiten ging.

Während meine Kolleg*innen einen Tag später nach der erfolgreichen Veranstaltung etwas trinken gingen, kam ich aus der Arbeit, konnte nicht mehr gerade gehen, weil mich eine böse Gastritis vor zu viel Stress warnte und ging mit Tränen in den Augen nach Hause (und hier sieht man, wie verloren man damals war, denn mein Freund ging mit den anderen feiern. Kein Handy, kein Hilferuf war möglich. Empathie bringe ich jetzt nicht ins Spiel.)

Das war im Jänner 1988.

Vom Studentenstreik im Oktober wurde von den Salzburger Nachrichten auf der Titelseite mit „170.000 Studenten im Streik“ berichtet.

Das für mich wesentlichste, was ich damals lernte, war, dass Zuhörer*innen populistische Redner mehr lieben, als jene, die bessere Argumente vorbringen, aber keine guten Rhetoriker sind. Ich hatte mich immer gefragt, warum die Massen Hitler zu jubelten. Nun hatte ich die Antwort, weil der Inhalt lange nicht so wichtig ist, als das hysterische Gemeinschaftsgefühl. Seit dem war ich mir sehr bewusst und war skeptisch, wenn Massen jubelten.

Am 4. November endete die Besetzung, wir arbeiteten weiter.

Das Österreich der 1980er Jahre war geprägt vom Ende der SPÖ-Alleinregierung unter Kreisky, Verhinderung der Kraftwerks Hainburg, Weinskandal, einem „Jetzt erst recht“ Bundespräsidenten (das für mich größte Verbrechen war wohl, dass er behauptete, nichts gewusst zu haben, ein sehr typisches österreichisches Phänomen), Begrüßung des „letzten“ Kriegsgefangenen (wohl eher Kriegsverbrecher) durch den FPÖ-Verteidigungsminister, und einiges mehr zum Nachlesen beim ORF (Nachschauen kann man es natürlich nicht, denn dies wären die einzigen Gründe, warum ich gerne die ORF-Gebühr zahlen würde).

Für mich war es auch das Ende des Glaubens, dass politischer Protests irgendetwas bewirkt.

Zum Vergleich: 1969/1970 wurden unter der Regierung Bruno Kreiskys auf Druck der Studenten Studienkommissionen mit drittelparitätischem Mitspracherecht der Studenten eingesetzt. Erste Institutsvertretungen wurden gebildet, eine Demokratisierung der Universitäten (und Schulen) fand statt. 1973 schafft dieselbe Regierung die Studiengebühren ab.

1975 trat das neue Universitätsorganisationsgesetz in Kraft, in dem Mitbestimmung der Studenten bei universitären Entscheidungen festgeschrieben wurden.

Heute würde das Atomkraftwerk Zwentendorf in Betrieb gehen, 2000 Besetzer*innen einer Au würden kein Wasserkraftwerk mehr verhindern. Geschweige denn einen Bundeskanzler zum Rückzug bzw. Rücktritt zu bewegen.

1987 erklärte der Bundeskanzler der großen Koalition, Franz Vranitzky, gegenüber den Studenten „daß sich die Bewegung gegen einen Sozialabbau wende, den es in Österreich nicht gibt.“ (Ich wünschte, ich könnte die tatsächliche Quelle finden und nicht nur das Zitat, ich bitte mir zu verzeihen).

Beim Nachlesen über jene Zeit wurde mir klar, wie viele kleine Steine zu meiner Frustration führten.

Ps. Ich habe nun in meinen Büchern geschmökert (Ich habe sogar eines über Vranitzky selbst), diese Studentendemonstration hat nie stattgefunden.


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