Meine Zweifel

Ich finde es immer wieder wert, über meine eigenen Glaubenssätze nachzudenken. Zweifel könnte mein dritter Vorname sein. Meine Eltern trieb ich damit zur Verzweiflung, denn meine Fragen interpretierten sie als meine Meinung. Das Ausmaß an Irritation, das mein Nachfragen auslöste, war mir damals nicht bewusst. Für mich waren Fragen unschuldig, aber auch meine Vorgesetzten betrachteten sie als Angriffe.

Zweifel war immer meine größte Schwäche. Aber auch meine größte Stärke. Ich mag meinen Zweifel.

Meine Mutter meinte: „Sei doch ein wenig diplomatischer.“ Wie sehr habe ich versagt. Nur, schlecht fühle ich mich deswegen auch heute noch nicht. Es war ja nicht einmal eine definierte Kritik, nur eine Einladung, nachzudenken, zu reflektieren. Ich tue es ständig, mein ganzes Leben lang. Warum tat ich etwas, warum habe ich mich so entschieden, was führte zu diesem Schritt, war es gerechtfertigt?

Die eine Entscheidung, mit jemandem zusammen zu sein, der reflektierte und über die ganze Welt urteilte und nachdachte, aber nie zusammen mit mir über uns, oder überlegte, wo ich oder wir vielleicht falsch lagen, war mein größter Fehler. Ich habe nicht vergessen, als ich auf seinen Ratschlag hörte, dass ich aufhören solle, über meine Eltern nachzudenken. Ich sprach danach nicht mehr über meine Tränen, über meine Gefühle, die diese hervorriefen. Ich stieg weinend in den Zug und als ich in Wien ankam, hatte ich alles vergessen. Verdrängen nennt man das.

Vielleicht war es nicht das einzige Mal, wo ich auf eine Reflexion verzichtete, aber jene mit der größten Auswirkung. Ich wollte diplomatischer sein.

Aber auch meine Illusion, dass alle Menschen erwachsen genug wären, sich Herausforderungen zu stellen, war ein großer Fehler. Die wenigsten waren es.

Meine Fragen waren nie ein Angriff, stattdessen immer ein Versuch, die Welt (und sei es nur meine eigene) besser zu verstehen, vielleicht sogar besser zu machen. Einen Versuch ist es immer wert.

Ich hätte von Anfang an, allen aus dem Weg gehen sollen, die einem Gespräch auswichen. Und ich verzeihe mir, dass ich nach jahrelangen Versuchen aufgab und die Illusion gab, dass ich jeden Streit vermied: „Mit dir kann man nicht einmal streiten.“ Die Entscheidung, wie ich auf jene Menschen reagierte, war falsch.


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