Im Paradies der Vorurteile

Ich, wie viele andere, halte mich für recht robust, wenn es darum geht, manipuliert zu werden. Niemand glaubt das leichtfertig von sich selbst. Oder hast du schon mal jemanden gehört, der sagt, ich glaube jeden Senf, den man mir serviert.

Ich habe über das Eröffnungsstatement der Verteidigung im Prozess „New York versus Donald Trump“ mehrfach das Bild gehört, dass die Anwälte Trumps Spaghetti an die Wand werfen und schauen, was kleben bleibt: “throw spaghetti against the wall and see what sticks.” um Zweifel zu säen, denn sie brauchen nur 1 Geschworenen, der einer Verurteilung nicht zustimmt.

Die Spaghettiwurftechnik ist ein üblicher Weg, den Prozess zu beschreiben, bei dem verschiedene Taktiken zur gleichen Zeit angewendet werden, um zu sehen, welche am besten funktioniert, also jene, die an der Wand kleben bleiben.

Etwa „Sleepy Joe“ oder „Biden Crime Family“ wurde von den Republikanern so oft wiederholt, dass selbst mir, ohne Fox News zu schauen, diese Slogans geläufig sind. Wer liest schon nach, was das bedeutet, oder wer das erfunden hat. Ob der einnickende Trump vor Gericht ebenso diese Berühmtheit erlangt, bezweifle ich. Die Demokraten wiederholen den Unsinn einfach nicht ständig wie aus einer Stimme. Das können die Republikaner. Deren Slogans kenne ich, auch wenn ich gegenteiliger Meinung bin. Was mich immer wieder verblüfft, wie erfolgreich Republikaner Spaghetti werfen können. Erstaunlich ist auch, wie sie selbst nach Österreich herüberschwappen.

Ich verstehe nicht, wie sich diese Geschichten selbst in mein Gedächtnis reinschmuggeln, auch wenn ich sie von Anfang an als Unsinn betrachtete.

„What have we done.“ schrieb der Anwalt von Stormy Daniels und Karen McDougal in der Wahlnacht an Dylan Howard, den früheren Herausgeber des „The National Enquirer“, als klar wurde, dass Trump gewinnen würde. David Pecker, der ehemalige Verleger, erzählte vor Gericht, welche Geschichten sie begruben „Catch and Kill“ und welche sie erfanden, wie die von Ted Cruz.

Ich finde es wichtig, meine eigene Schwäche zu kennen, auf solche Geschichten reinzufallen. Da nützt es mir wenig, wenn ich weiß, dass es in psychologischen Versuchen nachgewiesen wurde, wenn etwas lange genug wiederholt wird, wir dazu neigen zu sagen, da wird schon etwas dran sein. Es braucht immer Zeit, dem auf den Grund zu gehen.

Nichts ist einfacher, als das, was jeder sieht, zu meinem Nutzen zu interpretieren. Natürlich fällt mir der staksige Gang von Joe Biden auf. Seine Versprecher begleiten ihn schon sein Leben lang, er war als Kind ein starker Stotterer. Ich bewundere es, wie jemand, der mit so einem Handicap zu kämpfen hat, sich so in die Öffentlichkeit begibt. Gelästert hat man immer schon darüber, wahrscheinlich schon in Schule und Kindergarten.

Aber was ist mit dem steifen Gang? Das ist an mir vorbeigeschwebt, obwohl ich eifrig Nachrichten verfolge. Nun bin ich erst recht beschämt, denn wenn ich morgens aus dem Bett steige, stakse ich wie Joe Biden, oder wer sieht, wie ich mich aus dem Auto quäle, weil meine Hüfte schmerzt, könnte mich ebenso abschreiben. Die letzten Wochen nieste ich laufend, Birke und Gräser luden persönlich meine Allergie ein.

So viel anders liest sich der Gesundheitsreport von Joe Biden auch nicht. Es hat sich nichts zum vergangenen Jahr verändert, er leidet weiter an Neuropathie in beiden Füßen, gastroösophagealem Reflux, Allergien und Wirbelsäulenarthritis. Und der gebrochene Fuß vor einigen Jahren tut das seine dazu. Was seine geistige Gesundheit anbelangt, den lade ich ein, seine Rede an die Nation vom März 2024 anzusehen. Die war verdammt gut.

Wie naiv wir alle sind, sollte klar werden, wenn wir an den jungen dynamischen Präsidenten John F. Kennedy denken, der zwar jung aber tatsächlich schwer krank war, wie man bei diesem Spiegelartikel nachlesen kann. Oder jener Präsident, der Amerika aus der Weltwirtschaftskrise führte, die ersten Sozialgesetze einführte, und mithalf Europa zu befreien, Franklin D. Roosevelt, 3x gewählt, hielt seine Gehbehinderung so gut wie geheim. Es gibt kaum Fotos von ihm im Rollstuhl, in dem er allerdings die meiste Zeit saß.

Aber allen, die besorgt über die alten Männer sind, der Zug ist abgefahren. Es kommt jetzt weder Prinz oder Prinzessin aus einer Torte gesprungen. Darüber denke ich nicht mehr nach, es ist nicht mehr zu ändern.

Ich freue mich auf die vielen jungen Politiker*innen, die als Gouverneure, Minister und in anderen Rollen als Demokraten arbeiten. Da sind wirklich tolle Menschen in der Warteschlange. Auch wenn wir noch einige Jahre warten müssen.


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